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Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren wegen des schweren Bahnunfalls im Bereich des Bahnhofs Süßen ein

Datum: 19.06.2007

Kurzbeschreibung: 

Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren wegen des schweren Bahnunfalls im Bereich des Bahnhofs Süßen ein


Ulm. Süßen

Die Staatsanwaltschaft Ulm hat dieser Tage die strafrechtlichen Ermittlungen zu dem Zugunglück im Bereich des Bahnhofs Süßen am 21. April 2004 abgeschlossen und das Verfahren mangels Zuordenbarkeit festgestellter Pflichtenverstöße zu bestimmten Personen eingestellt.

Am 21. April 2004 stieß im Bereich des Bahnhofs Süßen ein in Richtung Geislingen/Steige fahrender Leerzug mit einem in der Gegenrichtung fahrenden Messzug zusammen. Durch die Wucht des Aufpralls wurde die Lokführerin des Leerzuges getötet, sechs Insassen des Messzuges wurden verletzt. Der Sachschaden an den entgleisten Zügen betrug etwa 5 Millionen Euro, der an den Gleisanlagen etwa 300.000 Euro.

Die umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des Bundespolizeiamtes Stuttgart, in die auch Sachverständige des Eisenbahnbundesamtes in Stuttgart einbezogen wurden, haben zu folgenden Feststellungen geführt:

Im Bereich des Bahnhofs Süßen war es wegen Feuchtigkeitseinbruchs in ein Steuerkabel in rascher Folge zu Fehlfunktionen gekommen, weswegen das Kabel dringend ausgewechselt werden musste. Beim Umklemmen von Stromkabeladern wurden bei einer Weiche versehentlich zwei Adern vertauscht. Dadurch stimmte die tatsächliche Stellung der Weiche vor Ort nicht mehr mit der im Stellwerk optisch angezeigten vermeintlichen Weichenstellung überein. Die fragliche Weiche zeigte zum Unfallzeitpunkt auf dem Stelltisch des Fahrdienstleiters eine Rechtslage, d.h. eine Geradeausfahrt an, befand sich aber tatsächlich in Linkslage, was eine Überleitung von Zügen in Fahrtrichtung Ulm von Gleis 2 auf das Gegengleis 3 für die Fahrtrichtung Stuttgart bewirkte. Der Leerzug wurde folglich von Gleis 2 auf das Gegengleis 3 gelenkt, wo er mit dem ordnungsgemäß entgegenkommenden Messzug zusammenstieß.

Die Untersuchungen des Eisenbahnbundesamtes förderten auch weitere Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften zutage. So wurden Dokumentationen nicht oder nicht richtig erfüllt, auch wurden Absprachen nicht oder nur unzureichend getroffen.

Trotz umfangreicher Ermittlungen konnte indes nicht geklärt werden, welcher  Signaltechniker die Kabel falsch angeschlossen hatte. Von den beteiligten und beschuldigten Signaltechnikern behauptet jeder, ihm sei kein Fehler beim Umklemmen der Kabel unterlaufen. Keinem dieser Beschuldigten ist das Gegenteil nachweisbar.  Auch waren bemerkenswerter Weise beim Eintreffen der Polizei – durch eine nachträgliche Manipulation – die Kabel wieder ordnungsgemäß verdrahtet.

Nicht zu klären war auch, ob die bei solchen Arbeiten vorgeschriebene „Übereinstimmungsprüfung“ der Stromadern durchgeführt wurde. Bei einer solchen Kontrollmaßnahme wird geprüft, ob die tatsächliche Lage der Weiche vor Ort mit den optischen Anzeigen zur Lage der Weiche im Relaisraum und auf dem Stelltisch übereinstimmt. Die Durchführung einer solchen Überprüfung ist nicht dokumentiert, so dass aufgrund der widersprechenden Angaben der Signaltechniker und des Fahrdienstleiters nicht geklärt werden konnte, ob eine solche Überprüfung tatsächlich erfolgte.

In gleicher Weise konnte nicht geklärt werden, ob die Signaltechniker den Fahrdienstleiter bereits über den Beginn ihrer Reparaturarbeiten informiert hatten, was von diesem bestritten wurde. Die Angaben der Signaltechniker, dem Fahrdienstleiter Zugfahrten während ihrer Arbeiten untersagt zu haben, sind nach den durchgeführten Ermittlungen ebenso wenig mit ausreichender Sicherheit zu widerlegen wie die gegenteilige Aussage des Fahrdienstleiters, er habe ausdrücklich die Genehmigung zur Abfertigung der später verunfallten Züge erhalten.

Die Ermittlungen haben ferner ergeben, dass eine grundsätzlich erforderliche formelle Betriebs- und Bauanweisung bzw. Betriebliche Anordnung zur Durchführung der Bauarbeiten im Gleisbereich nicht eingeholt wurde. Angesichts der hohen Dringlichkeit des Reparaturvorhabens bedurfte die Störungsbeseitigung als unvorhergesehene ad-hoc-Maßnahme vorliegend einer solchen formellen schriftlichen Anordnung nicht. Unabhängig davon blieb auch offen, ob eine solche formelle Anordnung das Unglück tatsächlich verhindert hätte.

Obgleich somit zahlreiche Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften seitens der Mitarbeiter der Bahn nachzuweisen waren, konnte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nicht durch Anklageerhebung zum Abschluss bringen. Dies deshalb, weil nicht mit einer ausreichenden Sicherheit festgestellt werden konnte, welchem oder welchen der beteiligten Mitarbeiter der Bahn der Pflichtenverstoß, der letztlich tatsächlich zu dem schweren Unfallgeschehen führte, zuzurechnen ist. „Jede Bestrafung setzt“, so Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Wolfgang Zieher, „den Nachweis persönlichen Verschuldens voraus. Folglich kommt trotz aller festgestellten Fehler nur die Einstellung des Verfahrens in Betracht. Dies ist, auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft, einerseits sehr unbefriedigend, andererseits aus Gründen einer rechtsstaatlichen und am Verschuldensprinzip orientierten Strafverfolgung jedoch letztlich unumgänglich.“

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